Großer Ansturm, großes Chaos – das Islaminstitut ist ein Desaster

Das umstrittene Institut für islamische Theologie an der HU Berlin kommt zum Wintersemester 19/20 – allen Protesten und aller Kritik zum Trotz. Doch es sieht nicht gut aus für das erste Semester. Das Interesse ist groß – hunderte Interessierte haben sich bereits auf das Studium beworben. Doch obwohl in etwas mehr als einem Monat der Lehrbetrieb starten soll, sind die Professuren noch nicht einmal besetzt. Die Einrichtung der Lehramtsausbildung, die eigentlich den Integrationshindernissen in Berlin entgegen wirken sollte und damit ein wesentliches Argument in der Rechtfertigung des Instituts war, musste wegen peinlicher Planungsfehler verschoben werden. Und die konservativen Beiräte blockieren liberale Kandidaten auf die Professuren, sodass bisher nur eine einzige Gastprofessur besetzt werden konnte.

Der Hintergrund

Der Beirat des Instituts, der auch über die Besetzung der Professuren entscheiden darf, besteht aus Vertretern erzkonservativer islamischer Verbände, nämlich dem Zentralrat der Muslime, der Islamischen Gemeinschaft der schiitischen Gemeinden in Deutschland und der Islamischen Föderation Berlin. Diese Verbände sind für homophobe, antisemitische, rückschrittliche und aufklärungsfeindliche Positionen bekannt. Liberale Organisationen sind im Beirat nicht vertreten.

Das sorgte von Anfang an nicht nur für viel Kritik in Politik und Medien, sondern auch von Seiten der Studierenden an der HU. Die Säkular-Humanistische Liste stimmte mit den anderen gemeinsam für die Erklärung, mit der sich das Studierendenparlament gegen die Einrichtung des Instituts in der geplanten Form aussprach. Doch alle Formen von Widerspruch wurden von der Universitätsleitung übergangen.

Das Institut soll aus vier Lehrstühlen bestehen: Neben den vier Kern-Professuren Islamische Textwissenschaften (Koran und Hadith), Islamische Religionspädagogik und praktische Theologie, Islamisches Recht in Geschichte und Gegenwart sowie Islamische Philosophie und Glaubensgrundlagen bestehen Pläne für Professuren zur Islamische Ideengeschichte der postklassischen Periode, zur Vergleichende Theologie in islamischer Perspektive sowie für zwei Nachwuchsgruppen (Perspektiven religiöser Vielfalt in der islamischen Theologie und Islamische Theologie im Kontext: Wissenschaft und Gesellschaft). [2]

Keine Professuren in Sicht

Im letzten Herbst wurden die Probevorträge abgehalten, bei denen die unterschiedlichsten Bewerber und Bewerberinnen beispielhafte Vorlesungen gaben. Wir besuchten diese Vorträge, um uns ein Bild von den potentiallen Lehrkräften zu machen. Von kritisch-rebellischen Religionswissenschaftlerinnen bis absolut an die heiligen Schriften gebundenen Altgelehrten war alles dabei, und in den Vorlesungen wurden unter anderem Inhalte wie Idschtihād und Shia, Überwindung der Distanz zwischen historischen Texten und heutiger Realität, oder die gesellschaftlichen und rechtlichen Folgen der Ehe von Minderjährigen in der islamischen Geschichte diskutiert.

Obwohl die Vorträge nun schon Monate zurückliegen, ist noch größtenteils unklar, wer nun eigentlich die Lehre übernehmen soll. Während Studentische Hilfskräfte und Mitarbeiterinnen der Nachwuchsforschungsgruppen bereits gefunden sind, herrscht dramatische Unklarheit bei den Professuren. Mitte Juni lagen erst zwei Berufungsvorschläge beim Senat vor. Zum aktuellen Datum (24. August) ist soweit nur sicher, dass Mohammad Gharaibeh von der Universität Bonn an das Berliner Institut kommen wird, wie uns auf unsere Anfrage an das Institut hin mitgeteilt wurde. Er ist allerdings bisher nur als Gastprofessor beschäftigt, da sein Berufungsverfahren noch nicht abgeschlossen werden konnte. Keine einzige dauerhafte Professur ist bisher besetzt worden.

Gründungsdirektor Borgolte ist dennoch zuversichtlich: “Wir werden den geplanten Lehrbetrieb darstellen können”, sagte er. Und: “Es ist durchaus denkbar, dass bis zum Wintersemester der eine oder andere Ruf erfolgreich angenommen wird.” [1]

Kein Lehramt wegen Chaos in der Planung

Bisher erscheint uns dieser Optimismus wenig gerechtfertigt. Noch dazu machen Planungspannen dem Institut zu schaffen. Beispieslweise muss das Studium im Herbst ohne Lehramtsoption starten. Die Ausbildung von Religionslehrern kann nicht aufgenommen werden, weil die HU es nicht geschafft hat, Referendariatsplätze zu sichern, in denen die Lehramtsstudenten ihre Praxiszeit absolvieren können. Ein Versehen seitens der Organisatoren.

„Uns war von vornherein nicht klar, dass wir mit Start des Bachelors schon für das Masterstudium, das folgt, Praktika und Referendariatsplätze brauchen“, sagte Borgolte dem Tagesspiegel. „Wir schaffen einen Studiengang in Islamischer Theologie, der breit aufgestellt ist und der eine Lücke im islamischen Religionsunterricht schließt, nämlich an den ISS und an den Gymnasien.“ [3]

Der Religionsunterricht ist in Berlin jedoch ein freiwilliges Fach und wird von den Religions- bzw. Weltanschauungsgemeinschaften organisiert, im Fall des Islam von der bereits erwähnten Islamischen Förderation. Diese bietet aber aktuell nur Religionsunterricht an Grundschulen anbieten, wohingegen sich die Institutsgründer nur um Referendariatsplätze an weiterführenen Schulen bemühten. Und der spontan gefasste Plan für einen Grundschul-Lehramts-Studiengang scheiterte, da die Planungszeit zu so kurz vor Studienstart zu knapp bemessen war. Auf Nachfrage, warum denn nicht von vornherein mit einem Grundschullehramt geplant wurde, erklärte der Gründungsdirektor, dass es dem Organisationsteam früher einfach nicht bekannt war, dass die Einrichtung eines Grundschul-Lehramts an Berliner Universitäten möglich sei. [3]

Die Aussetzung der Lehramtsoption ist ein herber Rückschlag, denn das Institut war ja ursprünglich hauptsächlich deswegen ins Leben gerufen worden, um dem Mangel an Lehrkräften in islamischer Theologie in Berlin entgegen zu treten und dabei auch Personal anzubieten, dass nicht ausschließlich von den konservativen islamischen Verbänden gestellt wird. Denn die bisher größtenteils aus dem Ausland stammenden Religionslehrer gelten als Hindernis für die Integration der Kinder und sollten durch Lehrer ersetzt werden, die in Deutschland ausgebildet wurden. Dieser Plan kann als vorerst gescheitert betrachtet werden.

Großer Bedarf nach religiöser Unterweisung

Aber natürlich sollen nicht nur Lehrkräfte am Institut ausgebildet werden. Auch zukünftige Imame werden hier theologisch unterwiesen. Und offenbar besteht großes Interesse an einer solchen Ausbildung: Schon gut 300 Bewerbungen sind an der HU eingegangen, bei gerade einmal 80 ursprünglich geplanten Studienplätzen. Am Ende werden es wohl 150 bis 180 Studenten werden, schätzt die Institutsleitung. Die Frage ist nur, wer die Studierenden unterrichten soll, wenn keine Professuren besetzt werden können. [5]

Der Gründungsdirektor sieht für die zukünftigen Studierenden eine große Chance. Das Institut werde eine bedeutende Rolle spielen, sowohl bei “Konflikten zwischen muslimischen Gruppierungen und der Mehrheitsgesellschaft” als auch bei muslimischen Eltern, die zu der Erkenntnis gelangen würden, dass es besser sei, wenn Lehrkräfte, die an einer Universität ausgebildet wurden, ihre Kinder im Glauben unterweisen würden. [4] Eine solche religiöse Prägung ohne Außenperspektive ist ein festes Teil des Unterrichtskonzepts, und nach einzelnen Kontakten mit Studieninteressierten ist dies auch genau das, was sich die jungen Muslime von dem Studiengang erhoffen. Wir sprachen mit jungen Frauen, die sich auf das Studium freuten und sich ausdrücklich wünschten, ihren Glauben durch die Beschäftigung mit der Theologie weiter zu festigen und in ihrem Studium keine kritische Perspektive einzunehmen.

Falls es denn überhaupt zu einem Studium kommt, dass diesen Namen verdient. Eigentlich sollten ja auch Lehrpläne ausgearbeitet, Materialien vorbereitet, Inhalte erstellt und Konzepte abgestimmt werden, ehe die Lehre aufgenommen wird – das wäre zumindest ein übliches Vorgehen. Momentan hat das Institut allerdings noch nicht einmal eine Satzung, wie wir der Website entnemen können [2] – geschweige denn einen Plan.

Beirat blockiert liberale Kandidaten

Anfang August hieß es, in der nächsten Woche sollten die letzten Entscheidungen über die zu berufenden Professoren fallen. Doch erneut verzögerte sich das Verfahren. Es scheitert bekanntermaßen nicht an qualifizierten Bewerbern und Bewerberinnen, sondern an den ultrakonservativen Einstellungen der Beiräte. Denn der Zentralrat der Muslime, die IGS und die Islamische Förderation behalten sich das Recht vor, die Auslegung eines “wahren” und “authentischen” Islams zu bestimmen.

Die Berufungskommission hat sich nach eigener Aussage bemüht, eine ausgewogene Mischung von jüngeren Theologen und international anerkannten (d.h. konservativen) Vertretern zu berufen. Sogar Frauen waren unter den Vorschlägen. Doch bisher wurden die von den Berufungskomissionen ausgewählen Kandidaten abgelehnt, weil ihre Interpretationen des Islams den Beiräten zu liberal waren. Eine weltoffene oder auch nur ausgewogene Präsentation der Glaubensinhalte wird damit von vorn herein blockiert.

Umgekehrt musste ein von der IGS vorgeschlagener Bewerber wieder von der Liste gestrichen werden – der Verfassungsschutz hatte ihn als bedenklich eingestuft. Die IGS wird generell von den Sicherheitsbehörden beobachtet, da sie dem Mullah-Regime im Iran nahesteht.

Solange Insitutsleitung und Beiräte es allerdings nicht schaffen, sich auf muslimische Theologen zu einigen, die nicht zugleich die Sicherheit des Landes gefährden, kann das Institut seine Arbeit nicht aufnehmen. Bei all diesen Schwierigkeiten bleibt der Gründungsdirekter Borgolte wie immer optimistisch: “Das Studium der Islamischen Theologie wird ein Kracher”, sagt er. [4]

Quellen

[1] https://www.tagesspiegel.de/wissen/islam-institut-an-der-hu-cdu-warnt-vor-verzoegerungen/24491982.html
[2] https://www.islamische-theologie.hu-berlin.de/de
[3] https://www.tagesspiegel.de/wissen/humboldt-universitaet-islam-theologie-startet-ohne-lehramtsoption/24341272.html
[4] https://www.morgenpost.de/berlin/article226612691/Das-Studium-der-islamischen-Theologie-wird-ein-Kracher.html
[5] https://hpd.de/artikel/islam-institut-dreimal-so-viele-bewerber-erwartet-17091

Artikelbild von Garry Knight zur Verfügung gestellt.