An der Humboldt-Universität zu Berlin wird ein Institut für Islamische Theologie eingerichtet. Sowohl der Berliner Senat als auch die Universitätsleitung sind fest entschlossen, die Definitionsmacht über die theologischen Inhalte einer Gruppe erzkonservativer Verbände zu überlassen – gegen den erklärten Willen der Studierendenschaft, ungeachtet der einstimmigen Kritik von allen Seiten, und gegen jedes Ideal von Wissenschaftlichkeit und freier Forschung.
Im folgenden Text wurde an vielen Stellen das generische Maskulinum genutzt. Das ist eine bewusste Entscheidung – es wäre zu zynisch, beispielsweise von “Professor_innen, die von den erzkonservativen Beiräten akzeptiert werden”, zu sprechen, wenn es sehr zweifelhaft ist, ob diese jemand anderen als einen Mann in dieser Rolle zulassen würden. Die existente Problematik würde damit nur verschleiert werden.
Islamische Theologie in Deutschland – ein Fach im Spannungsfeld von Wissenschaft und Dogma
Zum Jubiläum der Deutschen Einheit am 3. Oktober 2010 sagte Christian Wulff den berühmten Satz: “Der Islam gehört zu Deutschland.” Im gleichen Jahr empfahl der Wissenschaftsrat, Islamische Studien an deutschen Universitäten einzurichten, und die damalige Bildungsministerin Annette Schavan, die das Projekt maßgeblich vorantrieb, hoffte auf eine Theologie, die es schafft, Religion in die Gegenwart zu übersetzen. An den Universitäten in Münster, Osnabrück, Frankfurt am Main, Tübingen und Erlangen-Nürnberg wurde das Fach “Islamische Theologie” eingeführt und über fünf Jahre hinweg mit 20 Millionen Euro gefördert. Nach Ablauf dieser Zeit wurde das Projekt evaluiert, für gut befunden und die Förderung verlängert. Doch nicht immer lief alles so harmonisch ab, wie man es sich erhofft hatte.
Vor allem mit den muslimischen Verbänden, die über ihre Position als Beiräte der Universitäten großen Einfluss ausüben, gab es Konflikte. In Münster fürchteten die Verbände gar, die Deutungshoheit über den Islam in Deutschland zu verlieren, denn dort lehrt Prof. Dr. Mouhanad Khorchide seine liberale Auffassung des Islam. Der Koordinationsrat der Muslime und der Zentralrat der Muslime nahmen für sich in Anspruch, ihre konservative Interpretation sei die einzig Gültige und versuchten, dem ein Ende zu bereiten, doch die Hochschule und Landesregierung stellten sich hinter Khorchide. An anderen Universitäten liefen die Verhandlungen weniger verbissen ab. 2016 waren bereit 18.000 Studierende in Bachelor- und Masterstudiengänge eingeschrieben auch ein Graduiertenkolleg Islamische Theologie wurde gegründet.
Der Berliner Senat wünscht sich ein Islam-Institut
Ermutigt vom Erfolg der islamischen Fachgebiete fasste der Berliner Senat 2015 den Plan, an der Humboldt-Universität zu Berlin ein ganzes Institut für Islamische Theologie einzurichten. Immerhin leben in Berlin rund 300.000 Muslime, und eine akademische Ausbildungsstätte für muslimische Theologen, Imame und Religionslehrer ergibt auf den ersten Blick Sinn.
Nach den Plänen des Senats und der Humboldt-Universität soll ein besonderer Fokus auf das vergleichende Studium sunnitischer und schiitischer Lehren gelegt werden. Im Wintersemester 2019/20 soll der Lehrbetrieb aufgenommen werden. Bis 2022 stellt das Land Berlin insgesamt 13 Million Euro zur Verfügung. Das Zentralinstitut wird den Angaben zufolge zunächst mit einer Professur für Islamische Textwissenschaften (Koran und Hadith), einer für Islamische Religionspädagogik und praktische Theologie, einer für Islamisches Recht in Geschichte und Gegenwart und einer für Islamische Philosophie und Glaubensgrundlagen besetzt. Darüber hinaus wurden zwei weitere Professuren und zwei Nachwuchsgruppen beim Bundesforschungsministerium beantragt.
Ausgebildet werden sollen an diesem Institut Islamische Theologen, die sich für den Schuldienst als Religionslehrer sowie für Tätigkeiten als Imame in Moscheegemeinden, der islamischen Seelsorge und Wohlfahrtspflege qualifizieren. Außerdem steht ihnen natürlich auch eine akademische Karriere offen. Der Staatssekretär für Wissenschaft und Forschung, Steffen Krach, erklärte auch, dass ein Ziel des Instituts sei, dass Islamgemeinden nicht mehr auf Fachkräfte aus dem Ausland angewiesen seien. Denn die Imame sämtlicher Berliner Moscheegemeinden werden bisher im Ausland ausgebildet, in der Türkei, In Saudi Arabien, in Ägypten und im Iran. Diese Fremdbestimmung wollte der Senat beenden, um die Radikalisierung zu bekämpfen.
Aber auch Forschung soll am neugegründeten Institut stattfinden. Laut dem designierten Gründungsdirektor, Michael Borgolte, hat die HU einen besonderen Anspruch. “Die HU strebt aber an, besonders solche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu berufen und anzustellen, die vergleichend innerhalb islamischer Traditionen und Lehren arbeiten und sich nach außen im interreligiösen Vergleich dem Dialog mit verwandten Fächern stellen. Außerdem sollte Islamische Theologie stets offen für Fragen und Probleme der Gesellschaft in der globalisierten Welt sein.” Ob es bei einem frommen Wunsch bleibt oder eine solch weltoffene Gesinnung tatsächlich Einzug hält, bleibt allerdings abzuwarten.
Borgolte formulierte auch die Hoffnung, dass sich für die Professorenstellen Jung-Theologen bewerben, die an bereits bestehenden deutschen Instituten ausgebildet wurden. Es ist allerdings anzunehmen, dass auch Bewerber aus dem Ausland zum Zug kommen.
Das Institut wird mit großem Optimismus erwartet, zumindest von der Berliner Regierung und der Universitätsleitung – kein Wunder, es ist ja auch ihr Projekt.
Der Staatssekretär für Wissenschaft und Forschung, Steffen Krach, dankte der Humboldt-Universität wortreich und äußerte sich weiterhin wie folgt: “Mit dem Institut für Islamische Theologie wollen wir einen wichtigen Beitrag zur Integration in unserer Stadt leisten und das Miteinander der Religionen fördern.”
Sabine Kunst, Präsidentin der HU, war ebenfalls voll des Lobes für die Pläne, als sie sagte: “Die Humboldt-Universität wird ihre gesellschaftliche Verantwortung wahrnehmen und die islamische Theologie in ihr interdisziplinäres wissenschaftliches Netzwerk einbinden – und zwar sowohl in ihrer sunnitischen wie schiitischen Ausrichtung. Das ist bislang einmalig in Deutschland und eine große Bereicherung für Berlin.”
Und auch die Vorsitzende des Kuratoriums, Edelgard Bulmahn, fiel in den Chor mit ein: “Für die Humboldt-Universität ist dies ein wichtiger Meilenstein in ihrer weiteren Entwicklung.”
Doch hier endet die Begeisterung für das neue Institut bereits, denn von vielen anderen Seiten hagelt es scharfe Kritik. Und die hat vor allem etwas mit dem geplanten Beirat zu tun.
Konservative und radikale Verbände dürfen den Ton angeben
Der Beirat des Instituts hat eine Machtstellung inne: er besitzt ein Vetorecht, das es ihm erlaubt, mit einer Zweidrittelmehrheit die Berufung nicht erwünschter Professoren zu verhindern. Das Problem liegt in der Besetzung des Beirats: Berufen wurden in das Gremium je ein Vertreter der Islamischen Gemeinschaft der schiitischen Gemeinden (IGS), des Zentralrats der Muslime (ZMD) und der Islamischen Föderation Berlin (IFB). Alle drei Verbände gelten als erzkonservativ.
Abgesehen von den drei Vertretern der Verbände wird es noch zwei weitere Vollmitglieder geben, auf die sich Verbände und Hochschule noch einvernehmlich verständigen müssen. Der Senat hatte ursprünglich fünf größere muslimische Verbände an den Tisch geholt. Ausgerechnet weil sie aber einen zu geringen Einfluss befürchteten, schieden der von der türkischen Religionsbehörde kontrollierte Verband Ditib und der Verband der Islamischen Kulturzentren aus. Doch damit ist noch nichts gewonnen, denn ein näherer Blick auf die Islamverbände im Beirat offenbart ein Bild, bei dem aufgeklärten Menschen ein Schauder über den Rücken laufen kann.
Natürlich haben in keinem der Verbände unverschleierte Frauen ein Mitspracherecht. Kritische Äußerungen zum Islam werden gerne mit dem Etikett der ‚Islamfeindlichkeit‘ oder ‚Islamophobie‘ versehen, um die Kritiker ins Unrecht zu setzen. Doch das ist erst der Anfang.
Die Islamische Gemeinschaft der schiitischen Gemeinden Deutschlands wird wegen extremistischer Tendenzen vom Verfassungsschutz beobachtet. Sie nannte die Öffnung der Ehe für alle in einer Presseerklärung „einen äußerst befremdlichen und besorgniserregenden Trend, der Indizien für eine geplante und organisierte gesellschaftliche Verirrung sowie die Verwässerung jeglicher Moral, Ethik und Religiosität“ aufweise. Der entsprechende Beschluss des Bundestages sei verfassungswidrig und scheine „eine offensichtliche Auflehnung und Ablehnung der göttlichen Gebote anzustreben“. Nicht nur vertritt der Verband offen homophobe Positionen, auch mit unverhülltem Antisemitismus glänzt die IGS. Der Verband marschiert schon seit mehreren Jahren auf der antisemitischen Al-Quds-Demo, auf der Parolen wie „Zionisten ins Gas“ und „Jude, Jude, feiges Schwein, komm heraus und kämpf allein“ skandiert werden. Auf Nachfrage des Bundestagsabgeordneten Volker Beck wollte sich der Verband nicht von der Veranstaltung distanzieren. Der bereits erwähnte Staatssekretär Krach hätte sich eine solche Distanzierung zwar gewünscht, sieht die Zusammenarbeit am Institut für Islamische Theologie aber nicht gefährdet. „Was wir zusichern können, ist, dass es keine Antisemiten im Beirat für die Islamische Theologie an der HU gibt.“ Diese Aussage ist kaum in der Lage, die Bedenken gegen die IGS zu relativieren.
Der zweite Verband im Beirat ist die Islamische Föderation Berlin. Es handelt sich dabei um den Dachverband der„Islamische Gemeinschaft Millî Görüş“ (IGMG), die vom Verfassungsschutz beobachtet wird, der 2016 über ihre antisemitischen Thesen schrieb: „Die Juden – so die Millî-Görüş-Ideologie – würden den ,gottlosen Westen‘ und den größten Teil der Welt beherrschen. Sie seien hinter den Kulissen agierende Führer der herrschenden unislamischen, tyrannischen und ,nichtigen‘ Ordnung und damit ewige Gegner des Islam.“ Darüber hinaus pflegt die IGMG enge Verbindungen zur AKP-Partei Erdogans, was sie sicher nicht als entscheidungsmächtiges Organisation an einer deutschen Universität qualifiziert.
Das Trio des menschenfeindlichen Konservatismus wird komplettiert mit dem Zentralrat der Muslime. Dieser pflegt nicht nur freundschaftliche Verbindungen zur Muslimbruderschaft und zur “Islamischen Gemeinschaft in Deutschland”, der vom Verfassungsschutz Bestrebungen gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung attestiert werden. Er vertritt auch in allen zentralen Fragen die Position des Scharia-orientierten Islam: bei der Stellung der Frau, dem Umgang mit Homosexuellen, der Religionsfreiheit, der Freiheit von Meinung und Wissenschaft etc. Dass der Zentralrat nach öffentlicher Kritik die Namen seiner Mitgliedsverbände von der Homepage gelöscht hat, macht ihn auch nicht gerade vertrauenswürdiger. Es ist klar, dass der Zentralrat entschieden gegen jede liberale Stimme in der islamischen Theologie vorgehen wird – der Vorsitzende Aiman Mazyek, hatte sich bereits in Münster entsprechend gegen den liberalen Professor Khorchide positioniert.
Diese drei Verbände vertreten vor allem konservative Ideologen, die Angst vor einer Modernisierung und Liberalisierung des Islam haben. Eine solche Modernisierung wird beispielsweise von der Muslimin und Anwältin Seyran Ateş vorangetrieben. In ihrer Reform-Moschee „Ibn-Rushd-Goethe“ beten liberal-muslimische Männer und Frauen gemeinsam, manche der Frauen sogar ohne Kopftuch, und auch Homosexuelle sind willkommen. Ateş, die 1994 bei einem Attentat lebensgefährlich verletzt wurde, steht seit der Gründung der liberalen Moschee aufgrund zahlreicher Morddrohungen extremistischer Muslime unter Polizeischutz. Und bedauerlicherweise weigerte sich Aiman Mazyek, zur Goethe-Moschee einen Kommentar abzugeben. Aufklärung und Reform? Nicht erwünscht.
Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass die Verbände einem aufgeklärten Islam feindlich gegenüberstehen, dass sie homophobe, antisemitische, frauenfeindliche und teilweise gewaltbereites Positionen vertreten, und dass sie obendrein noch eng mit ausländischen (Regierungs-) Organisationen verbunden sind. Ausgerechnet diese Verbände sollen nun also entscheiden, welche Professoren nun die neuen Islamlehrer, Imame und Seelsorger Berlins ausbilden. Das vom Senat vorgebrachte Argument, das Institut könne die politisch-religiöse Fremdbestimmung bekämpfen und somit Radikalisierung entgegenwirken, ist somit schon im Ansatz ad absurdum geführt.
Empörung und Kritik kommt von allen Seiten
Die Wahl der Verbände wird aus allen Richtungen scharf kritisiert. CDU-Fraktionschef Burkard Dregger bezeichnete die Auswahl als willkürlich. “Es wäre richtig gewesen, den Kreis größer zu fassen – und man hätte auch durch die Berufung von Einzelpersonen dafür Sorge tragen können, dass die Vielfalt des Islam viel breiter abgebildet wird.” Im Abgeordnetenhaus Berlin brachte die CDU einen Antrag ein, der sich dafür einsetzte, auch liberale Vertreter mit in den Beirat des Islam-Instituts aufzunehmen. Der Ausschuss für Wissenschaft und Forschung sorgte allerdings dafür, dass der Antrag gar nicht erst angesprochen wurde. Dregger dazu: “Wir stehen vor einem Scherbenhaufen. Das ist ein Missgebilde. Wir wollten etwas erreichen für die Integration, aber anstatt eine Struktur zu schaffen, wo sich die Verbände auseinandersetzen müssen, wurden sie in eine Monopolstellung gebracht.”
Die Islamexpertin der Deutschen Evangelischen Allianz, Christine Schirrmacher, kommentierte, dass die beteiligten Verbände „allein die Regierungen in Ankara und Teheran“ verkörperten. Damit würden „der dringend notwendigen wissenschaftlichen Entfaltung der islamischen Theologie Handschellen angelegt“.
„Vermurkst. Von Anfang an vermurkst“, äußerte sich die religionspolitische Sprecherin der Grünen Bettina Jarasch über die Zusammensetzung des Beirats. Und auch die Studenten der Humboldt-Universität, an der das Institut eingerichtet werden soll, stehen den Plänen mehr als kritisch gegenüber. Seit Jahren fordern sie eine transparentere Politik bei dessen Einrichtung, die im Wesentlichen über ihre Köpfe hinweg geschieht – ohne Erfolg. Vertreter des studentischen Referats für Hochschulpolitik berichten, dass sie Gespräche mit kurdischen und alevitischen Studierenden darüber geführt haben, welche konkreten Probleme für sie entstehen würden, wenn die radikalen Verbände an der Universität Fuß fassen würden. Doch diese sehr realen Sorgen stießen bei der Universitätsleitung auf taube Ohren.
Seyran Ateş, die Gründerin der liberalen Moschee, bezeichnet die Wahl des Beirats als einen politischen Skandal. “Statt einem Bekenntnis zu religiöser Vielfalt und einer entsprechenden pluralen Besetzung des Instituts-Beirates erleben wir, wie nur Verbände mit zweifelhaftem Ruf am Tisch Platz nehmen werden, um darüber zu bestimmen was zukünftig am Institut gelehrt werden soll. […] Man hätte den Beirat für viele andere Strömungen des Islam öffnen können und das Institut zu einem richtigen Leuchtturm des Denkens und Debattierens in der Islamischen Theologie machen können.
Stattdessen ist man lieber den Drohungen der Islamverbände gefolgt, die den Verhandlungstisch bei einer solchen Öffnung des Beirates verlassen hätten. Diese Entscheidung ist auch ein politisches Signal an die liberalen Muslime in Deutschland, dass ihre Auffassung vom Islam auf der politischen Ebene keine Rolle spielt. Der Staat macht sich mit dieser Entscheidung eine bestimmte Deutung über den Islam zu eigen. Er entscheidet, welcher Islam vertreten wird und welcher nicht. Dabei sind die vermeintlichen Freunde des Verbandsislams eigentlich große Feinde einer offenen Gesellschaft. […] Es kann nicht sein, dass die Berliner Politik in Sonntagsreden ständig den muslimischen Antisemitismus und Extremismus verurteilt – und gleichzeitig den Jugendlichen Religionslehrer und Imame vorsetzt will, die eng mit den menschenverachtenden Regimen der islamischen Welt verbunden sind. Auch das Präsidium der Humboldt-Universität scheint dies nicht weiter zu stören. Ich bin fassungslos.”
Warum lassen sich Senat und Humboldt-Universität auf solch fragwürdige Partner ein?
Warum wurden keine modernen Professoren für islamische Theologie, wie Mouhanad Khorchide aus Münster oder Abdel-Hakim Ourghi aus Freiburg um beratende Unterstützung gebeten? Warum wurden nicht auch Vertreter liberalerer Strömungen, wie zum Beispiel der alevitischen Gemeinde, oder die bereits erwähnte Seyran Ateş, mit an den Tisch geholt? Was ist mit den afrikanischen und indonesischen Gemeinden, oder dem “Liberal Islamischen Bund”? Eine solch vielfältige Aufstellung könnte vielleicht tatsächlich dafür sorgen, dass ein selbstkritischer und aufgeklärter Islam in Berlin verbreitet würde. Doch dazu wird es mit dieser Zusammensetzung des Beirats nicht kommen. Wie können die Entscheidungsträger dies also rechtfertigen?
Die Ausrede “Repräsentation” bleibt fadenscheinig.
Ihre Begründung beruht auf einem einzigen Argument: Dass nur die genannten Verbände aufgrund ihrer Mitgliederstärke die Muslime in Deutschland repräsentieren würden.
Der Gründungsdirektor, Borgolte, argumentiert, ihm seien die Hände gebunden. Er habe sich von Verfassungsrechtlern beraten lassen. „Ich habe auch gefragt: Kann ich nicht mit einem liberalen Verband, der sechs Moscheen vertritt, zusammenarbeiten? Dann hätten wir das Problem nicht.“ Er habe ein dezidiertes „Nein!“ zur Antwort bekommen. Der Staat müsse mit den größten – den „kopfstärksten“ – Verbänden zusammenarbeiten, die die meisten Muslime verträten, sei ihm gesagt worden, so Borgolte. Dabei muss man jedoch im Hinterkopf behalten: Es handelt sich nicht um eine konkret für diese Situation gültige Gerichtsentscheidung oder ein Gesetz, sondern um den Rat nicht näher bezeichneter Verfassungsrechtler. Dieser bezieht sich vermutlich auf Artikel 7 Absatz 3 des Grundgesetzes, der vorschreibt, dass die Inhalte des Religionsunterrichts (und damit auch die Inhalte der theologischen Fächer an den Universitäten) mit “den Religionsgemeinschaften” abgesprochen werden müssen.
Anders als die Religionswissenschaft, die die Glaubensinhalte mit einer kritischen Distanz und wissenschaftlichen Methoden gewissermaßen “von außen” untersucht, ist die Theologie ein Fach, dass dich selbst mit den Inhalten identifiziert und sie als gegeben annimmt. Ein Hochschullehrer für Theologie muss selbst der Religion angehören, es handelt sich um ein konfessionell gebundenes Staatsamt. Wegen des Grundsatzes von Trennung von Staat und Kirche ist es dem Staat verboten, die Lehrinhalte festzulegen – und muss sich stattdessen nach den Vertretern der Religionsgemeinschaft richten.
Der Trugschluss beruht jedoch darin, die genannten konservativen Verbände als legitime Vertreter der Muslime in Deutschland zu betrachten – denn sie vereinen nur eine verschwindend geringe Minderheit hinter sich. Dennoch haben sich die Gründer des Islam-Instituts entschieden, sich ihnen willig unterzuordnen.
Die Humboldt-Universität und der Senat argumentieren, dass sie gar keine Wahl hätten, mit wem sie zusammenarbeiten. Liberale Verbände zur Zusammenarbeit einzuladen, wäre ein “Übergriff des Staates und der HU” gewesen, denn diese “dürfen sich den Islam in Deutschland nicht nach ihren eigenen Präferenzen zurechtschneiden”. Sie führen an, dass die Konservativen Verbände zwischen 300 und 900 Moscheen vertreten, während die liberalen Verbände nur etwa 6 Moscheen vertreten. Was zunächst halbwegs stichhaltig klingen mag, ist allerdings vollkommen substanzlos.
Muslime müssen im Allgemeinen nicht einer Moscheegemeinde angehören, im Gegensatz zu beispielsweise Christen, die in Kirchen organisiert sind. Selbst die kopfstarken konservativen Verbände repräsentieren, wenn man sie alle zusammenrechnet, nur eine Minderheit der Muslime in Berlin, denn von diesen sind höchsten 20 Prozent in den Moscheevereinen organisiert.
Noch deutlicher wird das Bild, wenn man sich bewusst macht: In Deutschland leben um die fünf Millionen Muslime. Der Zentralrat der Muslime mit all seinen 21 Mitgliedsorganisationen kommt nach den großzügigsten Schätzungen auf 20.000 Mitglieder – das wären gerade einmal 0.4% der Muslime. Laut Islamwissenschaftlerin Rita Breuer haben etwa 75 Prozent der Muslime haben sogar noch nie etwas von diesem Zentralrat gehört. Die große Mehrheit der Muslime kümmert sich also nicht im geringsten um diese angeblich so repräsentativen Verbände.
In dem sie als alleinige Vertreter der Glaubensgemeinschaft anerkannt werden, wird ihnen eine vollkommen überproportional große Deutungshoheit zugestanden. Der Zentralrat freut sich natürlich über diese Vormachtstellung, bereits im Konflikt um den liberalen Professor Khorchide wurde der Verband nicht müde, sich auf seine angeblich verfassungsmäßig gebotene Autorität zu berufen. Doch die Verbände sind nicht nur in keinster Weise zahlenmäßig repräsentativ – es ist auch stark zu bezweifeln, inwieweit sie wirklich die muslimische Glaubensrealität in Deutschland abdecken.
Weiterhin konstatiert Breuer: „Die mehrheitlich liberal denkenden Musliminnen und Muslime in Deutschland kommen in diesen Verbänden nicht vor. Die so dringend notwendige Akademisierung des liberalen Islams und Entwicklung einer Islam-Theologie auf der Basis von Freiheit, Gleichheit, Demokratie und Menschenrechten wird von diesen Verbänden systematisch verhindert.“ Und auch der liberale Theologe Khorchide stimmt dem zu: ““Über viele Jahre hatten wir in Österreich das Problem, dass in der Islamischen Glaubensgemeinschaft eine kleine Gruppe, die sehr stark arabisch geprägt war, die Führung der Glaubensgemeinschaft inne hatte. Dies führte später zu vermehrter Kritik, auch unter den Muslimen selbst, da nicht immer die Interessen aller, sondern einzelner Gruppierungen vertreten wurden. Von den positiven, aber auch den weniger positiven Erfahrungen aus Österreich sollten wir hier in Deutschland lernen.”
Man würde meinen, diese Argumente würden ausreichen, den Autoritätsanspruch der konservativen Verbände als die wissenschaftliche und kulturelle Katastrophe zu entlarven, der er ist. Doch die Universität und der Senat ziehen es vor, die Argumente des Zentralrats, der sich selbst nur allzu gern in der Vormachtstellung sieht, unhinterfragt zu schlucken. Da die Mehrheit der Muslime nicht in einer kirchenähnlichen Struktur organisiert ist, die eine repräsentative Aussage treffen könnte, kann sich der Zentralrat leicht in dieser Position behaupten. Dazu kommt, dass gerade liberale Muslime häufig Angst haben müssen, mit ihren Positionen an die Öfffentlichkeit zu gehen. Nicht umsonst stehen Khorchide, Ateş und viele andere unter Polizeischutz. In einem solchen Klima kann sich ein aufgeklärter oder liberaler Islam unmöglich Gehör verschaffen.
Der Staatssekretär für Wissenschaft und Forschung, Steffen Krach, macht sich anscheinend kaum Sorgen. Er sagt: „Und wenn wir in drei Jahren feststellen, es müsste noch der ein oder andere Verband zusätzlich integriert werden in den Beirat, dann bin ich da absolut offen und würde das dann auch unterstützen.“
Nun, das ist ja schön zu hören – doch leider auch vollkommen irrelevant. Denn die bisherigen Mitglieder des Beirats müssten einer solchen Erweiterung zustimmen. Doch sie werden keine liberalen Stimmen neben sich dulden, das ist vollkommen ausgeschlossen.
Die IGS beispielsweise hat sich schon vor einem Jahr vorsorglich gegen die Berufung von Ateş in den Beirat gewehrt, mit den Worten: „Wenn […] in dieser ,Moschee‘ […] die Meinung vertreten wird, dass der Koran Homosexualität billigt und man sich damit schmückt, dass dort Homosexuelle nicht nur teilnehmen, sondern auch das Gebet leiten sollen, dann ist etwas gründlich falsch verstanden worden. Dies ist keine Moschee, und das ist nicht der Islam“. Eine Zusammenarbeit ist hier von vornherein ausgeschlossen – und der Senat und die Humboldt-Universität beugen sich letztendlich den Wünschen der radikalen Verbände.
Die Theologie nach dem Willen der Verbände ist fromme Bestätigung ihrer Islam-Auslegung
Wie soll mit einem derartigen starken Einfluss der lauten Minderheit konservativer Verbände überhaupt eine freie Wissenschaft an der Humboldt-Universität ermöglicht werden? Der Gründungsdirektor Borgolte äußerte sich wie folgt: “Im Prinzip gehört jede Wissenschaft, die sich der Wahrheit und den Instrumentarien von Theoriebildung und Methodik auf der Höhe ihrer Zeit verpflichtet weiß, an eine Universität vom Anspruch der HU.”
Die islamische Theologie hat also einen Platz an der Uni, wenn sie sich der wissenschaftlichen Methode verpflichtet. Das klingt erstmal gut. Doch in der Praxis hat sich bereits gezeigt, dass die Verbände mit aller Macht versuchen, ihnen nicht genehme Theologen abzusetzen.
In Münster kam es deswegen bereits zum Konflikt.
Der Islamgelehrte Professor Sven Kalisch hatte in einem Vortrag die historische Existenz des Propheten Mohammed angezweifelt. Es folgten Drohungen aus islamistischen Kreisen, scharfe Angriffe von den muslimischen Verbänden, und Kalisch musste unter Polizeischutz gestellt werden. Schließlich folgte er einen Vorschlag der Hochschulleitung, sich aus der Ausbildung der Islamlehrer zurückzuziehen.
Bald darauf lehnte das Bundesbildungsministerium, das immerhin den Lehrstuhl finanziert, einen muslimischen Vertreter als Kandidat für den Beirat der Uni Münster ab, da er ein Vertreter der vom Verfassungsschutz beobachteten, antisemitischen, islamistischen und antidemokratischen Organisation Milli Görüs war.
Der Streit ging bald in die nächste Runde. Der Nachfolger des Professor Sven Kalisch, Prof. Khorchide, gilt als sanftmütiger Reformer. Er vertritt Positionen, die für die konservativen Muslime anscheinend schockierend klingen: “In der islamischen Ideenlehre gibt es viele humanistische und aufklärerische Ansätze, mit denen es sich sachlich auseinanderzusetzen gilt, um eine zeitgemäße islamische Theologie etablieren zu können.” Über die Rolle des Theologen schreibt er: “Auf der einen Seite muss ein Islamlehrer gut reflektiert sein, das setzt eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Positionen und Lehrmeinungen innerhalb der islamischen Theologie, aber auch innerhalb der Religionspädagogik und -didaktik voraus. Auf der anderen Seite muss er in seinen Handlungen, als frommer, barmherziger und verantwortungsvoller Mensch und Mitbürger ein Vorbild sein.”
Khorchide will eine reflektierte, kritische Auseinandersetzung mit den muslimischen Glaubensinhalten. In seinem Buch “Islam ist Barmherzigkeit” und in seinen Vorträgen vertrat er unter anderem die Position, dass auch ein Mensch, der nicht an Gott glaube, aber sich zur Liebe und Barmherzigkeit Gottes bekennt und entsprechend handelt, ein Vertreter muslimischer Glaubensgrundsätze. Für die Islamischen Verbände ist dies inakzeptabel.
Mustafa Yoldas, in Hamburg führender Vertreter der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs, sagt: „Das umstößt die 1000 Jahre währende Dogmatik und die Lehre im Islam, dass es eine Voraussetzung ist, an Gott zu glauben. […] Das Verrichten guter Werke allein, ohne den Glauben an den einzigen Gott ist nicht gängige Lehre im Islam.” Islamische Verbände forderten Khorchide auf, Buße zu tun. Der Koordinationsrat der Muslime verfasste ein 75-seitiges Gutachten, in dem sie Khorchide vorwerfen, seine historisch-kritische Betrachtungsweise widerspreche theologischen Ansprüchen an Wissenschaftlichkeit und Konfessionsgebundenheit gleichermaßen. Im Gutachten wird beispielsweise zu seiner Kritik an der Scharia angemerkt: “Anstatt sich diese Außenperspektive anzueignen, hätte Khorchide islamisch-theologisch aus der Innenperspektive heraus zu einem angemessenen Verständnis der Scharia beitragen sollen.”
Die Verbände akzeptieren also eine historisch-kritische Auseinandersetug nicht als wahre islamische Theologie. Die gleiche Position vertritt der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime Mazyek. Er fordert: “Es geht hier nicht um Orientalistik, sondern um die Glaubenslehre. Hier muss es ein Mindestmaß an Authentizität geben. Dieses zu beurteilen, obliegt weder dem Staat, der neutral bleiben muss, noch dem einzelnen Wissenschaftler. Was authentisch ist, müssen die Gläubigen sagen, – allerdings plausibel.” Außerdem erklärte er, er vermisse bei Khorchide eine religiöse “Demut.”
Aus sich der Verbände ist also nur eine in sich geschlossene, dogmatische Auslegung des Islam akzeptabel. Mazyek fühlt sich offenbar empfindlich durch die bloße Präsenz des liberalen Theologen angegriffen, der er unstellt ihm darüber hinaus, er spiele “damit das ohnehin weit verbreitete Spiel des ‘Böser Muslim – guter Muslim’: Hier der liberale, gemäßigte Reformer, oder dort die verbohrten, konservativen bis extremen Verbände.”
Diesen Satz kann man einfach mal so stehen lassen.
Im Klartext heißt das also: Mazyek, der Zentralrat und der Koordinationsrat halten nichts von wissenschaftlich-kritischer Betrachtung des Islams, von einem reflektierten Umgang mit Glaubensinhalten.
Ebensowenig gesteht Mazyek irgendeiner Gruppe außer den muslimischen Verbänden eine irgendwie geartete Autorität in dieser Sache zu. Die “Gläubigen” – das sind für ihn mit verblüffend selbstverständlicher Selbstgefälligkeit die Verbände, allen voran natürlich sein eigener Zentralrat der Muslime – dem wie bereits erwähnt nach den großzügigsten Schätzungen gerade einmal 0.4% aller Muslime in Deutschland angehören. Unterm Strich verlangt Mazyek, dass die komplett staatlich finanzierten Institute statt freie Forschung und Lehre zu betreiben, blind den religiösen Richtlinien seiner Interpretation eines konservativen Islams folgen.
Und wenn Khorchide als gläubiger Islamischer Theologe eine andere Interpretation wählt, dann heißt das für Mazyek: “Damit stellt er sich gegen die Verfassung. Diese sieht vor,
dass die Lehrerlaubnis durch die Religionsgemeinschaft begründet wird. Khorchides Vorstoß bedeutet im Umkehrschluss, dass er sich selbst diese Befähigung geben und alleiniger Master islamischer Rechtsprechung werden will.”
Ein Nicht-Konservativer muslimischer Professor, der nicht unter der Kontrolle der Verbände steht, will die Theologie an seiner Universität nach seinen eigenen Vorstellungen ausgestalten? Undenkbar für den Zentralrat. Dass Organisationen, die selbst verfassungsfeindlichen Gruppen nahestehen, eine solche Argumentation bemühen, spricht für sich.
Leider hat der Zentralrat auch noch ein weiteres Druckmittel in der Hand. Denn die Studierenden benötigen zwingend die Zustimmung der Religionsverbände, um beispielsweise als Religionslehrer arbeiten zu dürfen. Daher wandten sich im Falle Khorchide sogar eine Reihe seiner eigenen Studenten gegen den modernen Professor, da sie den Verlust des Ansehens ihres Abschlusses und ganz konkret um ihre berufliche Zukunft fürchteten. Mit derartiger Erpressung versuchen der Koordinationsrat der Muslime und der Zentralrat, ihre Dogmen durchzusetzen.
Die Haltung der Verbände lässt nichts Gutes für ein islamisches Institut vermuten, das unter ihrer Kontrolle steht. Wie soll unter solchen Umständen eine aufgeklärte, fortschrittliche Wissenschaft betrieben werden? Immerhin sieht das Leitbild der Universität vor, sich “gegen jede Form von Diskriminierung, Intoleranz und kultureller Selbstüberhöhung” zu wenden und außerdem die Gleichstellung der Geschlechter als vorrangiges Anliegen zu betrachten. Aber wie sollen diese aufgeklärten Grundsätze geachtet werden, wenn ultrakonservative Islamverbände sich immer noch nicht zu grundlegenden Prinzipien der Gleichberechtigung von Frauen bekennen? Kann die Humboldt-Universität guten Gewissens ihr Siegel unter die Abschlusszeugnisse der Absolventen setzen, deren Weltsicht durch diese Verbände geprägt wurde?
Wie soll die Freiheit der Wissenschaft und Forschung geachtet werden, wenn die Verbandsvertreter im Beirat es für ihr gutes Recht halten, ihre konservativen Auslegungen zu erpressen?
Sind die traditionellsten Schüler und Lehrer der islamischen Glaubensdogmen überhaupt an Wissenschaft interessiert?
Harry Harun Behr, Professor für Religionspädagogik in Frankfurt am Main, bildet dort die zukünftigen islamischen Religionslehrer aus. Er berichtet: „Viele meiner Studenten streben nach Glaubensvertiefung, nicht nach wissenschaftlichem Arbeiten. Wenn ich ihnen sage, der Koran ist Ergebnis eines theologischen Diskurses, wollen sie das nicht hören.“ Die Studenten meinten, es sei in der islamischen Tradition verboten, sich über den Koran eine eigene Meinung bilden. Behr zufolge soll der Unterricht jedoch nicht blinden Glauben vermitteln, sondern zum reflektierten Umgang mit Glaubensfragen befähigen. Prof. Khorchide aus Münster hat hingegen viel positivere Erfahrungen mit den Studierenden in seinen Vorlesungen gemacht.
Hier prallen gegensätzliche Ansätze aufeinander. Solange die Verbände die Entscheidungsmacht für sich beanspruchen können, haben die konservativen Interpretationen die Oberhand. Denn die Verbände werden nur Glaubenslehrer akzeptieren, die “plausibel” und “authentisch” die richtige Auffassung des Islam vertreten. Reformer wie Khorchide oder Seyran Ates sind von vornherein ausgeschlossen. Wenn also an der Humboldt-Universität die drei konservativen Gruppen die Mehrheit im Beirat bilden, dann wird zwangsläufig der konservative Tonfall Einzug halten, der nichts mit modernen Bildungsidealen oder den Grundsätzen im Leitbild der Universität zu tun hat.
Was hat der Gründungsdirektor dem entgegenzusetzen?
Borgolte sagt: “Forschungsfreiheit bedeutet, dass die am Institut tätigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Inhalte ihrer Forschungen selbst bestimmen. Das kann ihnen niemand vorschreiben; beschränkt sind sie nur durch die Denominationen ihrer Professuren oder sonstigen Stellen.”
Das ist in der Theorie eine gute Sache. Doch letztendlich bleibt die Frage, inwieweit die Universitätsleitung in der Realität tatsächlich weltoffene und reflektierte Professoren berufen wird, wenn sich der Beirat quer stellt. Denn wenn letztendlich nur Dogmatiker die Lehrstühle innehaben dürfen, ist der Ansatz der Forschungsfreiheit schon von Anfang an gescheitert. Solange die Universität und die Regierung sich diesen Vorgaben beugen, wird an der HU nur der laut Zentralverband “authentische” Islam gelehrt werden – ohne Modernisierung, ohne Gleichberechtigung der Geschlechter, ohne eigene Meinungsbildung, ja nicht einmal ohne Abgrenzung zur menschenfeindlichen Auslegungen der Sharia. Doch alles deutet momentan darauf hin, dass genau dies eintreten wird.
Die Universitätsleitung erzwingt das Institut gegen das Veto der Studierendenschaft
Allen entgeisterten und kritischen Reaktionen zum Trotz setzten der Senat und die Hochschule ihre Pläne jedoch unbeirrt fort. Im Akademischen Senat der Humboldt-Universität wurde über die Gründung des Instituts diskutiert.
Zunächst eine kurze Erklärung zu diesem Gremium: Der Akademische Senat (AS) entscheidet über die Einrichtung von Professuren, Eröffnungen und Schließungen von Instituten und Fakultäten und über den Vorschlag über den Haushalt der HU. Ihm gehören 13 Professor*innen, 4 Wissenschaftliche Mitarbeiter, 4 sonstige Mitarbeiter und 4 Studierende an – die absolute Mehrheit haben also die Professor*innen. In der Regel stimmen diese für die Vorschläge des Präsidiums der HU, somit ist der Akademische Senat häufig in der Rolle eines bloßen Bestätigungsorgans für das Präsidium. Falls alle Angehörige einer der vier Gruppen jedoch gegen eine Angelegenheit z.B. im Bereich Forschung und Lehre stimmen, muss die Angelegenheit auf Antrag neu verhandelt werden (so etwas nennt sich dann Statusgruppenveto). Dem Akademischen Senat stehen Kommissionen zur Seite, die einen Teil der fachlichen Arbeit übernehmen.
Zurück zu Islamdebatte: Am 12.06.2018 fand also eine nichtöffentliche Sitzung des AS statt, in dem die Gründung des Islam-Instituts auf Punkt 20 der Tagesordnung zu finden war. João Fidalgo, ein Vertreter der Studierendenschaft, plädierte dafür, die Entscheidung auf die nächste Sitzung zu verschieben, damit sich die Kommission ‘Lehre und Studium’ angemessen mit der Sache auseinandersetzen und eine Stellungnahme verfassen könne. Frau Prof. Metzler, Dekanin der Philosophischen Fakultät, sowie Mitglieder des Präsidiums lehnten die Bitte jedoch ab, mit der Begründung, dass ja zum Islaminstitut noch nichts Konkretes wie Prüfungsordnungen etc. feststünde. Die Kommission für Lehre und Studium ist aber nicht nur für Prüfungsordnungen, sondern für alle Fragen der Lehre und des Studiums zuständig. Dennoch wurden auf ihre Stellungnahme seitens des Präsidiums anscheinend keinen Wert gelegt.
Neben einigen anderen Fragen wurde natürlich das große Problem angesprochen: Mitglieder des AS, besonders aus den Reihen der studentischen Vertreter, kritisierten den Mangeln an liberalen Vertretern im Beirat und die Tatsache, dass eine Öffnung immer noch nicht in Aussicht stand.
Prof. Metzler sagte zwar, sie teile zwar die Kritik im Grundsatz, verwies jedoch auf die Argumentation der Sozialmächtigkeit, welche die Neutralität staatlicher Institutionen gewährleisten soll – also die bereits bekannte Argumentation, dass die konservativen Verbände aufgrund ihrer mehr oder weniger beeindruckenden Mitgliederstärke repräsentativ für die Muslime seien und eine Kooperation mit liberalen Verbänden “Willkür” sei. Sie meinte weiter, dadurch sei man konfrontiert mit Ansprechpartnern, die man kritisch sehe, doch gelte es mit diesen im Gespräch zu bleiben und einen Wandel durch Annäherung herbeizuführen.
Ein solcher Wandel kann bei den vorherrschenden Strukturen wohl nur bedeuten, dass die Universität sich den konservativen Islamverbänden annähert und ihrer Interpretation des Islam unterordnet.
Die Präsidentin der Universität, Frau Prof. Kunst, wurde nicht müde zu betonen, dass die HU ihre Grundwerte im Rahmen des Angebots einer islamischen Theologie zur Geltung bringe. Es sei das erste Mal, dass sich Sunniten und Schiiten gemeinsam in einem solchen Unterfangen beteiligen (Das ist zwar löblich, geht aber am Problem vorbei). Prof. Kunst erklärt, dass der HU an einer Integration anderer Positionen gelegen sei, weswegen man hart für die Möglichkeit der Öffnung verhandelt habe. Die Mitglieder des AS, vor allem die studentischen Vertreter*innen, bezweifelten jedoch sehr, dass die spätere Aufnahme liberaler Verbände möglich sein wird, da die konservativen Gruppen diese leicht blockieren können. Sie kritisierten außerdem, dass die Kooperationsvereinbarung mit den Verbänden ausschließlich nichtöffentlich besprochen wurde, und dass entgegen der Forderung der studentischen Vertreter*innen das Präsidium der HU allein über diese Kooperationsvereinbarung entschied, der Senat jedoch nicht darüber abstimmen musste.
Aller Kritik zum Trotz kommt es zur Abstimmung. Mit 11 Ja-Stimmen, 5 Nein-Stimmen und 3 Enthaltungen wird der Antrag angenommen. Dabei kamen 4 der 5 Nein-Stimmen von den Studierenden, die somit ein Statusgruppenveto einlegen. Nun müsste die Entscheidung eigentlich gestoppt und ein Schlichtungsverfahren eingeleitet werden…
Die Geschäftsstelle der HU sieht das jedoch ganz anders. Ihr Winkelzug: Der Senat diskutiere zwar die Einrichtung des Instituts, spreche aber nur eine Empfehlung an das Kuratorium der Universität aus, die Einrichtung zu vollziehen. Damit sei der Senat selbst kein Gremium mit Entscheidungsbefugnis in dieser Sache, und das Statusgruppenveto könne im Prinzip nicht eingelegt werden. Natürlich versichert die Geschäftsstelle, dass die Bedenken der Studierenden ausführlich reflektiert wurden. Doch letztendlich lässt die Unileitung die Studierenden eiskalt abblitzen. Gemeinsam mit dem Senat übergeht sie den Protest der Studierenden ebenso wie die Kritik von allen anderen Seiten und setzten das Institut wie geplant durch – so, wie es sich die konservativen Verbände gewünscht haben.
Das Institut der Erzkonservativen kommt – und damit die Stigmatisierung jeder liberalen oder kritischen Perspektive
Die Kritiker – und damit alle Verfechter eines liberalen Islam, oder auch nur einer wissenschaftlich unabhängigen Forschung und Lehre – sind fassungslos. Seyran Ateş vermutet, die Verbände hätten Druck auf die Universität ausgeübt, um zu verhindern, dass auch sie mit in dem Gremium sitzen darf. Der Staatssekretär für Wissenschaft und Forschung, Steffen Krach, beteuert gegenüber der Zeitung WELT: „Wir haben uns zu keiner Zeit erpressen lassen.“
Laut Ateş sind viele liberale Muslime über die Einseitigkeit des Beirats „sehr wütend und irritiert“. Obwohl die Verbände bisher keine belegbaren Mitgliederzahlen vorgelegt haben, erlaubt der Senat es ihnen, sich zu Vertretern aller Muslime aufzuschwingen. Dabei wird die Gewaltbereitschaft der Verbände ignoriert. „Deswegen sind wir so penetrant in der Öffentlichkeit und werden jetzt auch laut sein“, kündigt Ateş an. Sie will einen Gegenentwurf zum Islam-Institut starten.
„Wir brauchen in Deutschland eine Akademie eines modernen zeitgemäßen Islams“, sagt sie. Das Institut soll inhaltlich an die liberale Islam-Interpretation der Ibn-Rushd-Goethe-Moschee angelehnt sein und beispielsweise den Freiburger Islamwissenschaftler Abdel-Hakim Ourghi miteinbeziehen.
Auch die Studierenden nehmen die Abfuhr nicht so leicht hin. Bei der folgenden Sitzung des Studierendenparlaments der HU am 2. Juli wurde in einem außergewöhnlichen Konsens einstimmig die folgende Erklärung verabschiedet:
„Das Studierendenparlament der Humboldt-Universität zu Berlin spricht sich gegen die Einrichtung des Institutes für Islamische Theologie, so wie sie aktuell geplant ist, aus. Ein Institut, an dessen Gründung reaktionär-konservative Islamverbände beteiligt sind, in diesem Falle sogar ausschließlich, ist inakzeptabel, besonders an einer Universität, die „sich gegen jede Form von Diskriminierung, Intoleranz und kultureller Selbstüberhöhung [wendet]“ und der „[d]ie Gleichstellung von Frauen und Männern in Wissenschaft und Gesellschaft […] ein vorrangiges hochschulpolitisches und praktisches Anliegen [ist]“.
Das Studierendenparlament erklärt sich darüber hinaus solidarisch mit den studentischen Vertreter_innen in der akademischen Selbstverwaltung und schließt sich ihrer Kritik an der Ausgestaltung des Institutes an. Zudem fordert es die Humboldt-Universität auf, das Statusgruppenveto der studentischen Vertreter_innen im Akademischen Senat anzuerkennen.“
Gleichzeitig reichte die Studierendenschaft Klage vor dem Verwaltungsgericht gegen die Verletzung ihres Statusgruppenvetos ein. Das Gericht wies die Klage ab, allerdings mit dem expliziten Verweis, dass ihre Rechte tatsächlich verletzt wurden. Es sei jedoch mittlerweile zu spät, die Einrichtung des Instituts zurückzunehmen.
Alle kritischen Stimmen, von Grünen, CDU, aus der Wissenschaft, von liberalen Muslimen und Musliminnen sowie von Seiten der Studierendenschaft wurden von der Universitätsleitung und dem Senat rundheraus ignoriert. Mit dem Hinweis auf die Aussagen nicht näher genannter Verfassungsrechtler weist der Gründungsdirektor jede Verantwortung von sich und behauptet, ihm seien die Hände gebunden. Die konservativen Verbände, die erwiesenermaßen Demokratie- und verfassungsfeindlich sind, homophobe, frauenfeindliche und antisemitische Positionen vertreten, in den Interessen ausländischer Organe handeln und vom Verfassungsschutz beobachtet werden, müssen nur behaupten, sie hätten die Autorität über die Interessen aller Muslime in Berlin, ohne dies in irgendeiner Weise stichhaltig zu belegen – und schon ordnet sich der Senat dieser Interpretation unter.
Bettina Jarasch, Religionspolitische Sprecherin der Grünen, kann über die Politik von Universität und Senat nur den Kopf schütteln. Sie plädiert dafür, den Beirat über eine Vollversammlung vollkommen neu zu konstituieren, in die alle muslimischen Gemeinden der Stadt ihre Vertreter schicken können. Die Hochschulverwaltung schmetterte dies allerdings mit dem Hinweis ab, der Prozess sein nun bereits im Gange und könne nicht mehr verändert werden.
Die Islamwissenschaftlerin Rita Breuer fasst zusammen: „Es geht hier ja auch gar nicht um einen offenen theologisch-akademischen Diskurs, sondern um ein konservatives bis reaktionäres Deutungsmonopol. Es geht um die Marginalisierung liberaler Muslime und die Stigmatisierung jeglicher Islamkritik. Auf diese Art und Weise werden auch moderne Professoren für islamische Theologe, wie Mouhanad Khorchide (Münster) und Abdel-Hakim Ourghi (Freiburg), systematisch unter Druck gesetzt. Die theoretische Möglichkeit, sie und andere liberale Denker in die weitere Entwicklung der Islam-Institute einzubeziehen, wird in Berlin mit der Besetzung dieses Beirates obsolet.“
Die Universitätsleitung und der Senat haben den konservativen Verbänden zum Sieg verholfen. In den nächsten Jahren werden die Studierenden der HU, die liberalen Muslime in Berlin und alle Verfechter eines aufgeklärten Islams die Konsequenzen dieser Entscheidung erdulden müssen.
Was kann noch getan werden? Die 23 Mitglieder der Berufungskommission sind bereits festgelegt (8 Professor*innen der HU, 4 weitere Professor*innen, 11 Vertreter weiterer Statusgruppen der HU). Zum Ende des Wintersemesters sollen die Berufungslisten fertiggestellt sein, die dann vom Akademischen Senat und vom Beirat abgesegnet werden müssen. Dann finden vermutlich auch die Antrittsvorlesungen statt. Interessierte Studierende sollten sich auf jeden Fall diese Antrittsvorlesungen ansehen, um sich ein Bild davon zu machen, wer welche Meinungen vertritt. Wir werden auf diese Termine hinweisen, sobald sie bekannt werden. Die Säkularen Humanisten an Berliner Hochschulen werden versuchen, den Mitgliedern der Berufungskommission einen Brief schreiben und sie um ein möglichst bedachtes Vorgehen bei der Auswahl bitten, dass die Sorgen und Interessen der Studierenden berücksichtigt. Wir ermutigen auch andere Studierende, sich dem anzuschließen, vor allem mit Hinblick auf das übergangene Statusgruppenveto.
Quellen:
https://www.emma.de/artikel/studierende-contra-islam-institut-335929
https://vertretungen.hu-berlin.de/de/stupa/sitzungen/2018/07-02/180702-protokoll-stupa-final.pdf
https://www.bz-berlin.de/berlin/kolumne/humboldt-universitaet-scheitert-an-islam-institut-das-war-absehbar
https://gremien.hu-berlin.de/de/as/protokolle/2018/beschlussprotokoll-der-365-sitzung-des-akademischen-senats-vom-12-06.2018
https://causa.tagesspiegel.de/bildung/wie-sinnvoll-ist-das-geplante-islam-institut-in-berlin/politischer-skandal-statt-leuchtturm-des-denkens.html
https://www.tagesspiegel.de/berlin/islamische-theologie-an-der-hu-seyran-ates-plant-liberales-islam-institut/22764174.html
https://www.welt.de/politik/deutschland/article178940516/Humboldt-Uni-Berlin-Studenten-lehnen-geplantes-Islam-Institut-ab.html
https://www.rbb24.de/politik/beitrag/2018/06/einrichtung-islam-institut-humboldt-universitaet-beschlossen.html
https://www.berliner-zeitung.de/berlin/islam-institut-an-hu-cdu-abgeordneter-dregger-bezeichnet-beirat-als-missgebilde-30421010
https://www.tag24.de/nachrichten/berlin-konservatives-islam-institut-humboldt-uni-kritik-hu-660632
https://www.zeit.de/2017/40/islamkritik-reformen-liberal-bedrohung
http://www.spiegel.de/lebenundlernen/uni/islam-muslimische-verbaende-attackieren-theologen-khorchide-a-939864.html
https://www.cicero.de/kultur/islam-institut-humboldt-universitaet-berlin-islamverbaende
https://www.hu-berlin.de/de/pr/institut-fuer-islamische-theologie/aktuelles/interview
https://www.deutschlandfunkkultur.de/humboldt-universitaet-gruendet-islam-institut-seyran-ates.1008.de.html?dram:article_id=421686
https://www.hu-berlin.de/de/pr/nachrichten/juni-2018/nr_180628_00
https://www.emma.de/artikel/hu-berlin-reaktionaeres-islam-institut-kommt-336051
https://www.pro-medienmagazin.de/gesellschaft/gesellschaft/2018/07/09/protest-gegen-berliner-islaminstitut/
https://www.nzz.ch/feuilleton/machtkampf-um-ein-geplantes-islam-institut-an-der-berliner-humboldt-universitaet-ld.1374199
https://www.evangelisch.de/inhalte/150843/30-06-2018/humboldt-uni-bekommt-islam-institut
https://gremien.hu-berlin.de/de/as/protokolle/2018/beschlussprotokoll-der-365-sitzung-des-akademischen-senats-vom-12-06.2018
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https://www.zeit.de/2016/07/islamische-theologie-universitaet-fach-studium-bilanz/komplettansicht
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https://de.wikipedia.org/wiki/Zentralrat_der_Muslime_in_Deutschland
https://de.wikipedia.org/wiki/Theologische_Fakult%C3%A4t
https://www.tagesspiegel.de/berlin/islamische-theologie-an-der-hu-seyran-ates-plant-liberales-islam-institut/22764174.html
https://serdargunes.files.wordpress.com/2014/05/gutachten_krm_171220131.pdf