Die Zehn Angebote

Do you advocate the Ten Commandments as a guide to the good life? Then I can only presume that you don’t know the Ten Commandments.

Richard Dawkins

Jeder kennt die 10 Gebote, so möchte man meinen. Doch stets aufs Neue bietet sich Gelegenheit, diese Hypothese falsifizieren, wenn sich erneut ein Politiker bei seiner Wählerschaft beliebt machen will und dieses Konvolut als „ethisches Fundament unserer Kultur“ oder dergleichen bezeichnet. Und dann fragt man sich wieder: Weiß der gute Christ eigentlich, was er da redet?

„Du sollst neben mir keine anderen Götter haben […] Denn ich, der Herr, dein Gott, bin ein eifersüchtiger Gott: Bei denen, die mir feind sind, verfolge ich die Schuld der Väter an den Söhnen, an der dritten und vierten Generation.“

Krankhafte Eifersucht und Sippenhaft, nun, wenn das unsere „christlich-abendländischen Werte“ sein sollen: Wir verzichten dankend! Dass die „Zehn Gebote“ immer noch als ernst zu nehmende ethische Maßstäbe gelten, lässt sich letztlich nur als Ausdruck einer katastrophalen Fehlbildung erklären. Wer weiß schon, dass im 10. Gebot Frauen mit Sklaven (sic!), Tieren und sonstigen „Besitztümern“ in eine Reihe gestellt werden? Oder dass Jahwe wenige Verse nach „Du sollst nicht morden“ folgende präzisierende Anweisung gibt? „Eine Hexe sollst du nicht am Leben lassen. Jeder, der mit einem Tier verkehrt, soll mit dem Tod bestraft werden. Wer einer Gottheit außer Jahwe Schlachtopfer darbringt, an dem soll die Vernichtungsweihe vollstreckt werden.“ Ja, das ist es, was Kinder tagtäglich im staatlich finanzierten Religionsunterricht lernen dürfen.

Der Philosoph Michael Schmidt-Salomon stellt dieser barbarischen Ideologie eines bronzezeitlichen Stammes im Manifest des Evolutionären Humanismus neue Regeln entgegen. Diese sind jedoch keine Gebote, denn da ist niemand jenseits unserer Empathie und Vernunft, der uns zu ihrer Einhaltung zwingen könnte. Es sind 10 Angebote, die Schmidt-Salomon macht, nicht in Stein gemeißelt und von keinem Gott erlassen. Keine „dunkle Wolke“ sollte uns auf der Suche nach angemessenen Leitlinien für unser Leben erschrecken, denn Furcht ist selten ein guter Ratgeber. Jedem Einzelnen ist es überlassen, diese Angebote angstfrei und rational zu überprüfen, sie anzunehmen, zu modifizieren oder gänzlich zu verwerfen.

Die Zehn Angebote des evolutionären Humanismus (Kurzfassung)

1. Diene weder fremden noch heimischen „Göttern“, sondern dem großen Ideal der Ethik, das Leid in der Welt zu mindern!

2 Verhalte dich fair gegenüber deinem Nächsten und deinem Fernsten!

3. Habe keine Angst vor Autoritäten, sondern den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!

4. Du sollst nicht lügen, betrügen, stehlen, töten – es sei denn, es gibt im Notfall keine anderen Möglichkeiten, die Ideale der Humanität durchzusetzen!

5. Befreie dich von der Unart des Moralisierens! Trage dazu bei, dass die katastrophalen Bedingungen aufgehoben werden, unter denen Menschen heute verkümmern, und du wirst erstaunt sein, von welch freundlicher, kreativer und liebenswerter Seite sich die vermeintliche „Bestie“ Homo sapiens zeigen kann.

6. Immunisiere dich nicht gegen Kritik! Ehrliche Kritik ist ein Geschenk, das du nicht abweisen solltest.

7. Sei dir deiner Sache nicht allzu sicher! Zweifle aber auch am Zweifel! Selbst wenn unser Wissen stets begrenzt und vorläufig ist, solltest du entschieden für das eintreten, von dem du überzeugt bist. Sei dabei aber jederzeit offen für bessere Argumente, denn nur so wird es dir gelingen, den schmalen Grat jenseits von Dogmatismus und Beliebigkeit zu meistern.

8. Überwinde die Neigung zur Traditionsblindheit, indem du dich gründlich nach allen Seiten hin informierst, bevor du eine Entscheidung triffst!

9. Genieße dein Leben, denn dir ist höchstwahrscheinlich nur dieses eine gegeben!

10. Stelle dein Leben in den Dienst einer „größeren Sache“, werde Teil der Tradition derer, die die Welt zu einem besseren, lebenswerteren Ort machen woll(t)en! Eine solche Haltung ist nicht nur ethisch vernünftig, sondern auch das beste Rezept für eine sinnerfüllte Existenz.

Eine Langfassung der 10 Angebote findet sich unter hier oder im Manifest des Evolutionären Humanismus (Schmidt-Salomon, Alibri Verlag, 2006, ISBN: 3-86569-011-4).